DER OFFIZIELLE BLICK AUF DEN WOLF - kritisch betrachtet
Die 87. Umweltministerkonferenz (UMK) hatte den Bund gebeten „entsprechende weitere populationsbezogene Betrachtungen zum Erhaltungszustand der Art Wolf vorzunehmen und zu den Ergebnissen zu berichten.“ Dies ist zur 88. UMK vom 03.-05. Mai 2017 in Form von zwei Dokumenten geschehen:
dem schriftlichen Bericht des Bundesministeriums für Umwelt (BMUB) mit dem Thema
vom 12.04.2017 und als dessen Anlage
der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW). Nach einschlägigen Erfahrungen mit Papieren und Standpunkten des BMUB zum Thema Wolf, bedürfen diese einer kritischen Betrachtung.
Das erste Dokument nimmt auf verschiedene Quellen und Textstellen Bezug, die man den Adressaten leicht in Form von Links hätte zugänglich machen können. Auch ein Literaturverzeichnis, wie noch in vorangegangenen Berichten geschehen, fehlt. So ist in vielen Passagen schwer nachvollziehbar, was belegbar Quellen entnommen wurde, und was (häufig nicht begründete) persönliche Meinung der Verfasser ist; diese bzw. Ansprechpartner werden nicht genannt.
Erläuterungen der Kriterien zur Bewertung des günstigen Erhaltungszustandes nach der FFH-Richtlinie
Zum obersten Ziel der FFH-Richtlinie, dem günstigen Erhaltungszustand und den Kriterien für dessen Bewertung, wird auf den Bericht des BMUB zur Lebensweise, zum Status und zum Management des Wolfes in Deutschland (BT-Drucksache 18[16]313, 2015 - S. 15 ff.) Bezug genommen. Sowohl im Bezugsdokument, als auch im aktuellen Text werden zwei Punkte vermieden, die seit der ersten konkreten Anleitung zur Mitteilung an den Habitat-Ausschuss nach Artikel 17 der FFH-RL„Bewertung, Monitoring und Berichterstattung des Erhaltungszustands“ aus dem Jahr 2005 den Mitgliedsländern regelmäßig empfohlen werden:
-Die Festlegung von Referenz- oder Schwellenwerten für den günstigen Erhaltungszustand einer Population
-Die Bewertung des Erhaltungszustandes einer Population unabhängig von politischen Grenzen
Entsprechend gibt es in den beiden letzten Berichten an den Habitat-Ausschuss zu diesen Punkten Fehlstellen oder vage Angaben, hier Zitate aus dem FFH-Bericht von 2013:
Punkt Angabe
2.3.9. Günstiges Verbreitungsgebiet>>: viel größer als das natürliche Verbreitungsgebiet
2.4.14Günstige Gesamtpopulation>>: viel größer als die aktuelle natürliche Population
2.8.3Transboundary AssessmentFeld nicht vorhanden
Besonders der letzte Punkt ist für eine Wolfspopulation zu hinterfragen, deren ursprüngliche Bezeichnung „Deutsch-westpolnische Flachlandpopulation des Wolfes“ lautete. Wenn man im vorliegenden Bericht umfänglich zu begründen versucht, warum man sich auch für den anstehenden Berichtszeitraum nicht in der Lage sieht, die Zentraleuropäischen Flachlandpopulation (ZEP) gemeinsam mit Polen zu bewerten, so ist dies dem bei uns dafür verantwortlichen BMUB anzulasten. Die beschriebenen Projekte wurden vom BfN ohne Beteiligung offizieller polnischer Stellen in Auftrag gegeben, was die Akzeptanz für dieses Vorhaben nicht gefördert haben dürfte. Vertragspartner waren das Büro LUPUS in Deutschland unddie polnische Naturschutzorganisation Association for Nature "Wolf". Es hat zudem sicherlich nicht zur Akzeptanz dieser Projekte beigetragen, dass die Ergebnisse in den BfN-Skripten 356 und 398 ausschließlich auf Englisch publiziert wurden. Ein Titel (398) hat es noch nicht einmal auf die offizielle Liste der BfN-Skripten zum download geschafft. Gleichwohl werden die Monitoringergebnisse aus dem Westteil Polens alljährlich auch von offiziellen Stellen in DE genutzt und veröffentlicht.
Operationalisierung der Referenzwerte für die Bewertung des Erhaltungszustandes anhand der Leitlinien der IUCN Large Carnivore Initiative for Europe
In Bezug auf die Bewertung und Anwendung der „Leitlinien für Managementpläne auf Populationsniveau für Großraubtiere“ hätte man besser den Text der Bundestagsdrucksache von 2015 übernommen. Er ist klar und verständlich und war so zu verstehen, dass man durchaus bereit war, sich den Ansatz der LCIE zu eigen zu machen. Die darin aufgeführten acht Kriterien für das Erreichen des günstigen Erhaltungszustandes gehen dabei deutlich über die drei Punkte des Art 1 Buchstabe i) der FFH-RL hinaus und stellen zusätzlich die Anforderung hinsichtlich des genetischen Austausches zwischen (Sub)populationen und der günstigen Referenzpopulation. Diese Gedanken sind nicht neu, sie entstammen den Kriterien zur Roten Liste der IUCN.
An diesem Punkt stellt der Bericht eine Forderung auf, die im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der ZEP weder wissenschaftlich begründbar, noch erfüllbar ist. Zitat:“Erst, wenn eine Verbindung zwischen zwei Populationen entsteht, die so stark ist, dass die Zuwanderung einen signifikanten demographischen Effekt hat, kann über eine Herabstufung des Gefährdungsstatus nach den IUCN Rote Liste-Kriterien entschieden werden. Hierbei muss jedoch die Zuwanderung von Individuen aus einer Population in eine andere Population einen derart positiven Effekt auf die Geburten- bzw. Sterberate haben, dass dies wissenschaftlich nachweisbar ist.“
Es ist unstrittig und genetisch nachgewiesen, dass die ZEP durch Zuwanderung von Wölfen aus der baltischen Population entstanden ist. In DE gab es bis zur Jahrtausendwende keine territorialen Wölfe, geschweige denn Reproduktion. Im Westteil Polens war der Wolfsbestand zu dieser Zeit minimal (Nowak und Myslajek 2016). Die Anzahl zugewanderter Wölfe, welche sich alleine im deutschen Teil der ZEP mit Nachkommen der Lausitzer Wölfe verpaarten, ist erheblich (17 Exemplare in drei Generationen) und wurde 2015 durch das Senckenberg Institut in einem veröffentlichten „Stammbaum“ der deutschen Wölfe publiziert. Abwanderungen in der Gegenrichtung sind mangels Forschungsergebnissen nur in einem Fall („Alan“) nachgewiesen.
Mit der Verdichtung der annähernd gleich großen Wolfsbestände beiderseits der deutsch-polnischen Grenze kann eine Zuwanderung kaum noch einen messbaren demografischen Effekt haben. Die Dichte der Rudelterritorien ist hier inzwischen höher, als in der baltischen Stammpopulation. Dabei lässt die Dichte der im Nordwesten Polens kartierten Rudelterritorien jederzeit einen genetischen Austausch in der gesamten Population zu.
Die Bewertung der ZEP als eigenständige oder isolierte Population ist bereits seit der Arbeit von Czarnomska et al. 2013 in der Fachwelt, und dies besonders in Polen, umstritten. Die Forderung nach einer Schwelle von 1.000 adulten Tieren für eine „minimale lebensfähige Population“ lässt sich heute nach den Kriterien der Roten Liste der IUCN nicht mehr begründen.
Dabei soll hier auf den zunehmenden Konflikt um die Deutung des Begriffes Population bzw. Subpopulation und deren Grenzen nicht eingegangen werden. Die nach Linnell et al. 2008 vorgenommene „pragmatische Abgrenzung“ von Wolfspopulationen an politischen Grenzen, oder aufgrund des Schutzstatus, lässt sich aus der Entstehungsgeschichte des Wolfsbestandes westlich der Weichsel biologisch nicht begründen. Namhafte Wissenschaftler gehen inzwischen davon aus, dass es sich vom Baltikum bis nach Deutschland biologisch um ein und dieselbe Wolfspopulation handelt.
Abgrenzung der Zentraleuropäischen Wolfspopulation gegenüber anderen Populationen unter genetischen Gesichtspunkten
Die Folgerung, dass die geringe Zahl unterschiedlicher Haplotypen (HW01 und HW02) auf die geringe Zahl an Gründertieren der ZEP zurückzuführen sei, ist schlicht falsch. Die oben zitierte Arbeit von Czarnomska weist nach, dass auch in den nordostpolnischen/baltischen Beständen fast ausschließlich diese beiden Haplotypen feststellbar sind. Dabei ist zu beachten, dass sich die mt-DNA ausschließlich in der weiblichen Linie vererbt und nicht verändert, d.h. alle Nachkommen eines Wolfspaares tragen immer die mt-DNA des Muttertiers.Sie ist nicht geeignet den genetischen Fingerabdruck eines Individuums festzustellen. Wenn es nach Senckenberg eine genetische Differenzierung zwischen der ZEP und der baltischen Wolfspopulation geben soll, so ist es eine dringende Aufgabe der damit befassten Labore, die Gründe dafür festzustellen und offenzulegen. Das Auftreten der gleichen Haplotypen in vergleichbarer Verteilung in beiden (Sub-)populationen macht die Behauptung einer Differenzierung zumindest fragwürdig.
Der Schutzstatus des Wolfs
Wenn der Schutzstatus des Wolfes in DE aus der Sicht der Verfasser als nicht veränderbar dargestellt wird, so dürfen dabei zwei Dinge nicht verschwiegen werden:
-Jenseits von Oder und Neiße steht der Wolf in Polen im Anhang V, d.h. Polen könnte ungeachtet aktuellen Vollschutzes dort, unter Beachtung des günstigen Erhaltungszustandes, Verwaltungsmaßnahmen ergreifen -sprich auch die Jagd erlauben.
-Die EU-Kommission hat im Rahmen der Diskussion um den Artikel 19 FFH-RL darauf hingewiesen, dass sie eine konsequente Anwendung des Handlungsrahmens aus dem Artikel 16 (Ausnahmeregelungen) für ausreichend hält. Dabei ist dieser Artikel im Bundesnaturschutzgesetz nicht vollständig umgesetzt, und somit in DE nur begrenzt anwendbar.
Das Miteinander von Mensch und Wolf
Die Ausführungen zum Miteinander von Mensch und Wolf - und dessen konfliktfreier Gestaltung - enthalten reichlich Allgemeinplätze zur inzwischen sehr aufwändigen Öffentlichkeitsarbeit der zuständigen Behörden. Ob diese in der Fläche auch so ankommt, bedarf einer neutralen Nachprüfung. Auffällig ist dabei, dass die wesentlichen Ängste der Menschen, die in ihrer Region zum ersten Mal - oder vielerorts inzwischen regelmäßig auch in der Nähe ihrer Häuser -dem Wolf begegnen, überhaupt nicht erwähnt werden. Menschen, die Angst vor Hunden haben, dies sind nicht wenige, werden erst recht Angst vor dem Wolf haben. Dies ist ihnen zuzugestehen.
Herdenschutz sowie Präventions- und Kompensationszahlungen von Nutztierrissen
Die Ausführungen zum Herdenschutz erreichen das Thema nicht annähernd. Auch die Nutztierhaltung in traditionellen Wolfsländern mit Hirten und Herdenschutzhunden (HSH) ist nicht konfliktfrei und Tierhaltern in DE unter heutigen Verhältnissen nicht zumutbar. Der heute in DE angestrebte rein passive Herdenschutz mit aufwändiger und teilweise immer höherer Zäunung stößt bereits an seine wirtschaftlichen und arbeitstechnischen Grenzen, auch wenn zwei Bundesländer den möglichen Förderungsrahmen dafür gerade verdoppeln wollen. Der Mehraufwand, auf den sich Weidetierhalter langfristig in ganz Deutschland werden einstellen müssen, ist nicht wie im Text behauptet, zeitlich begrenzt, sondern wird zum Dauerzustand, wenn keine wirksameren Mittel und Wege gefunden werden, Wölfe von Nutztieren fernzuhalten.Der Annahme, dass sich Nutztierschäden auf Schafe und Ziegen beschränken würden, widersprechen Erfahrungen aus anderen Ländern sowie aktuelle Ereignisse -z.B. aus Brandenburg und Niedersachsen. Das Beispiel Sachsen zum wirksamen Herdenschutz ist wenig stichhaltig. Dort haben sich von 2015 auf 2016 die Schäden an Nutztieren in geschützter Haltung von 125 auf 216 um 73 % erhöht. Die aus Abb.2 abzulesendenErhöhung der Nutztierschäden von 2014 auf 2015 liegt weit über dem Wachstum der Wolfspopulation. Auch hier lässt sich kein Erfolg von Wolfsmanagement und Herdenschutz ablesen.
Der Statusbericht des DBBW
Der Status des Wolfes in DE ist im Bericht des DBBW ausführlich beschrieben. Es ist ein nützliches Kompendium bereits in vielen Einzelteilen veröffentlichter Daten, gut geeignet für den weniger im Thema stehenden Leser, aber nicht fehlerfrei.
Die Einstufung der ZEP durch die IUCN als ‚stark gefährdet‘ stammt nicht, wie angegeben, aus dem Jahr 2012, sondern aus 2006 und trägt auf der Seite der IUCN den deutlichen Hinweis „Needs updating“ . Was dies bedeutet, wird durch die Grafik zur Populationsentwicklung auf Seite 19 veranschaulicht. 2006 waren in DE 3 Wolfsrudel nachgewiesen, für 2016 spricht man inzwischen von über 70 Rudeln oder Paaren.
Fazit:
Dieser Bericht des BMUB kann schwerlich als Entscheidungshilfe für die Umweltministerkonferenz gedient haben. Dafür enthält er zu viele unverzeihliche Fehler in der Bearbeitung der für den Leser nicht direkt zugänglichen Quellen.Es verfestigt sich weiter der Eindruck, dass man in der zuständigen Abteilung des BMUB nicht bereit ist, die aktuelle Entwicklung der Wolfspopulation und die damit verbundenen Probleme zur Kenntnis zu nehmen.
Anscheinend wurde dies bei den Adressaten sehr wohl erkannt, wenn man im Protokoll der 88. UMK diesen Beschluss liest:
TOP 23: Weitere populationsbezogene Betrachtungen zum Erhaltungszustand der Art Wolf
Beschluss:
Die Umweltministerkonferenz nimmt den Bericht des Bundes zu populationsbezogenen Betrachtungen zum Erhaltungszustand der Art Wolf zur Kenntnis.
"Die Umweltministerkonferenz beschließt die Einrichtung einer länderoffenen adhoc-AG auf Amtschef-/ Staatssekretärsebene unter Beteiligung des Bundes und der Federführung des UMK-Vorsitzlandes mit dem Auftrag, sich mit den Themen “Günstiger Erhaltungszustand des Wolfes“ und „Definition und Umgang mit Problemwölfen“ zu befassen. Die Umweltministerkonferenz bittet dazu um einen schriftlichen Bericht bis zur 89. UMK."
Möge sich die beschlossene adhoc-AG unabhängig von den im BMUB zum Wolf gepflegten Dogmen sachlich dem Thema widmen und der nächsten UMK eine von der Realität geprägte Entscheidungsgrundlage präsentieren.